Der griechische Adel von der Spätantike bis zur Gegenwart

von Ralf G. Jahn

Der spätrömische Senatorenstand     Die byzantinische Aristokratie     Der griechische Adel     Der lateinische Adel in Griechenland    
   
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Der spätrömische Senatorenstand

Im spätantiken Dominat wurden nach einem Gesetz von 412 n. Chr. die Reichseinwohner in nicht weniger als 12 Rangschichten unterteilt: An der Spitze stand die Kaiserfamilie mit dem Rangprädikat nobilissimus. Die höchsten Würdenträger des Reichsadels hießen viri illustres. Darunter standen die viri spectabiles, gefolgt von den senatores (den wirklichen) und clarissimi (den nominellen Senatoren). Der Stadtadel war dreigeteilt in sacerdotes, principales und gewöhnliche decuriones (curiales). Es folgten die negotiatores (Händler), plebei (Arbeiter), coloni (Bauern) und die servi (Sklaven). In dieser Skala fehlten die perfectissimi, die equites (Ritter) der früheren Zeit, sie wären unterhalb der Senatoren einzuordnen und erschienen in der Spätantike im Staatsdienst.

Die mit Augustus einsetzende starke funktionale und soziale Akzentuierung des Senatorenstandes (ordo senatorius) bzw. Ritterstandes (ordo equester) führte mit der Heranziehung der munizipalen Oberschicht (ordo decurionum) zu einem nach Rängen vielfach gestuften Reichsadel im Dienste der Kaiser. Der Senatorenstand, der höchste Positionen in Verwaltung und Militär ausfüllte, war erblich, die Ritterwürde, die vom Kaiser vergeben wurde, blieb dagegen auf den jeweiligen Funktionsträgern beschränkt und erschwerte so ein Standesdenken, auch wenn zunehmend Ritter die Senatoren in ihren Funktionen ablösten. Trotz eines unleugbaren Niedergangs des Senats im 3. Jh. behielten die Senatoren ihren Reichtum und ihr moralisches Ansehen. Für die Senatoren war die Größe der Einkünfte durch ihre Güter in verschiedenen Provinzen eine Prestigefrage. Ihre Einnahmen bestanden ebenso aus Geld wie aus Agrarprodukten, vor allem aus Getreide und Wein.

Nur in den höheren Rängen des Senatorenstandes (illustres viri) erhielt sich in der Spätantike ein adliges Standesbewußtsein. Dieser Senatsadel, dessen Mitglieder sich in Gallien noch im 6. Jahrhundert n. Chr. als nobiles und senatores bezeichneten, bildet die Brücke zum Adel des Mittelalters.

Zu Anfang des 4. Jahrhunderts wurde der Senat durch die Aufnahme zahlreicher Ritter und Aufsteiger aus dem Kreis der Curialen in den Provinzen massiv erweitert. In der Zeit nach Konstantin verfestigte sich die Beziehung zwischen der erblichen senatorischen Standeszugehörigkeit und den Rangklassen im kaiserlichen Dienst (clarissimi, spectabiles, illustres). Die Inhaber der Reichsämter stammten aus dem neuen senatorischen Adel. Die Gruppe der clarissimi in jedem der beiden Reichsteile setzte sich aus sehr verschiedenen Personenkreisen zusammen, die sich nach Herkunft, ständigem Wohnsitz, Vermögen und Laufbahn unterschieden. An der Spitze gab es die städtische Aristokratie von Rom mit den Vornehmsten und den Reichsten an Land- und Goldbesitz, wie die Anicier, die Valerier und die Ceionier. Die Valerier, die um 400 als die reichste senatorische Familie galten, verfügten über Güter in Norditalien, Kampanien, Sizilien, Gallien, Spanien, Africa, Numidien und Mauretanien, sowie über ein Jahreseinkommen von über 120.000 solidi (Goldmünzen), ferner in Rom auf dem Caelius über eine prachtvolle Stadtvilla. Zur Spitze der Aristokratie gehörten aber auch relativ weniger reiche Mitglieder wie die Symmacher und als arm bezeichnete Senatoren, die Mühe hatten ihren Rang zu halten: Dieser in Rom ansässige Adel tagte als einziger regelmäßig im Senat, der andernfalls völlig außerstande gewesen wäre, seine 2.000 Mitglieder gleichzeitig in der Curie des Diocletian aufzunehmen. Im Senat von Konstantinopel überwogen dagegen zumindest in den ersten Generationen die „Parvenus“, von denen nicht wenige aus der Handwerkerschicht Konstantinopels aufgestiegen waren.

Wirklich gemeinsam waren den einzelnen Gruppen senatorischen Ranges nur die grundlegenden Privilegien und Verpflichtungen ihrer Angehörigen:

-          sie waren von den gewöhnlichen Lasten und Steuern der städtischen Grundbesitzer befreit und wurden bei Strafverfahren nicht nur von strengen Maßnahmen wie von Folterung verschont, sondern vor standesgemäße Spezialgerichte gestellt;

-          finanziell waren sie nur zu einer jährlichen Grundbesitzersteuer (follis), zu gemeinsamen Abgaben bei besonderen Anlässen und zur Veranstaltung öffentlicher Spiele verpflichtet.

Für die Mitte des 4. Jh. ist insgesamt vielleicht mit ungefähr 4.000 Personen senatorischen Ranges (ohne Frauen) zu rechnen. Viele der großen senatorischen Adligen bekleideten nur eines oder weniger Ämter, um den illustris-Rang zu erreichen, dann aber als honorati (d.h. solche, die Ämter bekleidet hatten) ihre ökonomischen, sozialen und kulturellen Interessen lebten. Viele clarissimi und deren Nachkommen begnügten sich mit dem erworbenen Rang und kamen überhaupt nicht mehr nach Rom. In den Provinzen konnten sich die Adligen in der Praxis mit Erfolg manchen der ihnen auferlegten finanziellen Lasten entziehen und sich vor allem illegale Vorteile aus ihrem gesellschaftlich-politischen Rang und ihrer Macht als reiche Grundbesitzer verschaffen. Sie wurden zu potiores (Mächtigen), die als regionale Interessenvertreter Formen römischer Herrschaft bewahrt hatten, ohne sich noch an den Zwecksetzungen der Kaiser auszurichten.

Der adlige Grundbesitz lag innerhalb seiner eigenen Grenzsteine, ausgeklammert aus dem administrativen Bezirk der Stadt. Steuerprivilegien, Abgabenimmunitäten sowie Verweigerung der Steuerzahlung gegenüber den zum Einzug unfähigen Curialen stärkten seine ökonomische Unabhängigkeit und rechtliche Sonderstellung. Auf den Gütern entstanden allmählich Privatmilizen (bucellarii), eine eigene Gerichtsbarkeit und eigene Gefängnisse. Private, nur lose der Hierarchie angegliederte Kapellen (capellae) wurden erbaut. Die große Grundherrschaft bildete so wirtschaftlich, fiskalisch, rechtlich und religiös eine selbständige Einheit, die öffentliche Funktionen an sich zog. Sie zeigt bestimmte Vorformen der Feudalität, doch fehlt die zu einer entwickelten feudalen Grundaristokratie gehörende spezifische politische Struktur.

Erblichkeit des Standes, riesiger Grundbesitz, steuerliche und rechtliche Privilegien, adliger Lebensstil, Amtsinhaberschaft, standesgemäße literarische Bildung, personale Verbindung zum Episkopat, erbliches Patronat über Kirchen, Körperschaften, Städte oder Provinzen förderten die Provinzialisierung des Senatorenstandes, insbesondere in Gallien. Seit Kaiser Honorius (395-423 n. Chr.) stammten alle hohen Amtsträger in Gallien nur noch aus dem einheimischen Senatorenadel. Der gallische Senatorenadel war ein Bollwerk der romanitas und vermittelte die spätrömischen kulturellen Traditionen an das hohe Mittelalter, entwickelte aber auch auf regionaler oder lokaler Ebene Autoritätsverhältnisse, die sich zu echten Herrschaftsverhältnissen wandeln konnten.

Die Formen sozialer Abhängigkeit, über die der Senatorenadel Macht ausübte, waren:

-          der Kolonat (über bodengebundene Pächter),

-          das bäuerliche Patrozinium (freie Bauern gerieten in die Abhängigkeit von mächtigen Herren, denen sie regelmäßige Abgaben entrichteten),

-          der Patronat über collegia (Vereinigungen der Handwerkerschaften) und

-          das Buccellariertum (Leibgarde aus Privatsoldaten).

Der Senatorenadel dehnte das traditionelle Klientel- und Patronatsverhältnis über Individuen, Gruppen, Kollegien, Städte oder Provinzen im Laufe des 4. Jahrhunderts als Schutzherrschaft (patrocinium) über große Teile der ländlichen Bevölkerung aus. Dabei überantwortete der colonus (unfreier Bürger) vertraglich seinen Grundbesitz dem Patron, der seinem Klienten dafür Schutz gegenüber Dritten bot. Der Kolonat sicherte den Einzug von Steuern und stärkte zugleich, wie auch das bäuerliche Patrozinium, das zur Aufrechterhaltung einer rudimentären Ordnung dienen konnte, die partikulare Macht der Großgrundbesitzer. Das Patronat über collegia sollte dazu beitragen, daß die collegia ihre staatlichen Funktionen erfüllen, wurde aber zum Widerstand gegen staatliche Ansprüche gebraucht. Die Buccellarier konnten sowohl wichtige Kontingente bei offiziellen militärischen Aktionen des Reiches bilden als auch ihren Herrn gegen den Kaiser unterstützen. Neu gegenüber der Republik und dem Principat war, daß diese persönlichen Bindungsverhältnisse jetzt insgesamt stärker herrschaftlich bestimmt waren und vor allem, daß sie den Ansprüchen des spätantiken Staates potentiell und oft genug auch tatsächlich zuwiderliefen.

Aus den Reihen der alten Adelsstände (ordo senatorius, ordo equester) bildete sich im Laufe ein neuer Adel heraus, der dem ordo senatorius angehörte. Er setzte sich aus den Grundbesitzern (possesores) zusammen, die vor allem in Italien und im Westen des Reiches zu immer stärkerer wirtschaftlicher und politischer Machtstellung aufstiegen. Abgesehen von den in vielfacher Weise bevorrechteten Ständen der Beamten, Militärs und Kleriker bildeten die Großgrundbesitzer die einzige noch wirklich freie Bevölkerungsschicht im Dominat. Dieser Grundherrenstand entwickelte sich im Westen zu einem Adel neuer Prägung, der vermöge seines Reichtums und der Herrschaft über die Kolonen dem Kaiser als ein machtvoller Gegenspieler gegenübertrat. Seine Güter vermehrten sich ständig durch Erbschaften, Kauf, die Emphyteuse und die Patrozinienbewegung. Der „Patriziat“ bedeutete nur einen vom Kaiser als Auszeichnung verliehenen nichterblichen Adel. Die Machtstellung des neuen Adels war gerade durch den Kolonat (halbfreier Bauernstand) außerordentlich gestärkt worden. Die Kleinpächter (coloni) waren infolge der allgemeinen wirtschaftlichen Not in eine völlige Abhängigkeit von ihren Pachtherren geraten. Die Wirtschaft sank auf die Stufe einer primitiven Naturalwirtschaft herab. Die Grundbesitzer warfen sich immer häufiger zu Schutzherren nicht nur einzelner bedrängter Bürger, sondern ganzer Ortschaften und Gemeinden auf. Dieses patrocinium, in dem die altrömische Klientel gewissermaßen neu auflebte, wurden von der kaiserlichen Zentralgewalt zwar scharf bekämpft, aber ohne durchgreifenden Erfolg, da die Grundherren vielfach selbst die maßgebenden Stellungen in den hohen Reichsbehörden innehatten. Schließlich wurden die patrocinia im Westen ausdrücklich vom Staate anerkannt (415 n. Chr.). In diesem Aufstieg eines neuen Adelsstandes lag einer der wesentlichen Gründe für die politische Ohnmacht und den frühen Untergang des weströmischen Reiches. 

Unter dem Druck des Staates bekehrten sich zwar zu Beginn des 5. Jh. die senatorischen Familien zumindest formell allgemein zum Christentum, aber von ihrem Kreis ging zumindest in Rom auch weiterhin eine heftige Propaganda gegen die Kirche aus.

Besonders in den Krisenzeiten der Völkerwanderung (5. Jh.) erfüllte kraft seiner Autorität und Machtposition dieser Senatorenadel wichtige soziale und wirtschaftliche Funktionen und trug so in den westlichen Reichsgebieten zu reibungsloser Integration römischer Bevölkerungsanteile in den das Imperium ablösenden germanischen Staaten bei. Die senatorischen Grundherren hatten sich oft als Patrone gegenüber den Invasoren wie gegenüber der Reichsverwaltung für die Interessen der civitas eingesetzt, in der sie ansässig waren. Wohl spätestens in der 1. Hälfte des 5. Jh. erlangten die gallischen Grundbesitzer das Recht der Autropragie, d.h. der Selbsteintreibung der Steuern im Bereich ihres Besitzes. Bis um 600 hat das römische landwirtschaftliche System bei den Germanen keine grundlegende Modifikation erfahren.

Als das Kaisertum im Westen erlosch und damit weitere Standeserhebungen entfielen, wurde die Reichsaristokratie zu einem nach unten geschlossenen Geburtsstand. Gleichzeitig kam der Provinzialisierungsprozeß zum Abschluß. Die illustren Familien, deren Güter nicht selten über mehrere Länder des Imperiums verstreut waren, behaupteten ihren Besitz nur in dem Nachfolge-regnum, dem sie mit mehr oder weniger Willen angehörten. Sie empfanden sich jedoch nach wie vor als Träger des kulturellen Erbes der römischen Antike. Senatorische Familien begegnen im 6. und 7. Jh. im Burgunderreich, in der Provence und in Aquitanien, wo sie „die nahezu unbeschränkten Herren des flachen Landes waren.“

Der hohe Klerus rekrutierte sich seit der 2. Hälfte des 4. Jh. zunehmend aus dem Senatorenstand, dem die kirchliche Laufbahn einen Ersatz für kaiserliche Ämter und Würden bot. Die spätrömischen civitates bildeten die Grundlage der kirchlichen Diözesen. In Südgallien erscheint die Merowingerzeit wie eine Verlängerung der Spätantike.

Choldwig, der als Befreier der katholischen Romani den Gotenkrieg (508) geführt hatte, nahm die Gallorömer gleichberechtigt neben den Franken ins Heer auf. In den meisten civitates traten Mitglieder der einheimischen Senatsaristokratie an die Stelle der gotischen comites. Nach 508/511 zogen die fränkischen Könige zahlreiche Angehörige des Senatorenadels als Tischgenossen an ihren Hof, vornehmlich in den Reichsteilen von Paris und Reims. Als „Minister“ in der Zentralregierung begegnen Angehörige des galloromanischen Adels vor allem unter Childebert I. (†558) und seinem Neffen Theudebert I. (533-547), der die Gallorömerin Deoteria 537 geheiratet hatte und von ihr den Thronerben Theudowald (†555) erhielt. Eine führende Stellung nahm unter ihm Parthenius, ein Enkel des Kaisers Avitus (†456) ein, der in den 540er Jahren als magister officiorum die austrasische Regierung zu organisieren suchte, aber nach dem Tod Theudeberts 548 einer nationalfränkischen Opposition zum Opfer fiel. Gogo, ein Schüler des Parthenius, leitete als Erzieher Childeberts II. in den Jahren 576-581 die austrasische Regierung.

Die aus dem frühen 7. Jh. stammende Legende von einer gemeinsamen Abstammung der Franken mit den Römern aus Troja brachte sowohl die Partnerschaft der Franken mit dem Imperium wie die Symbiose von Franken und Romanen im Merowingerreich zum Ausdruck. Bald nach 800 entstand vermutlich in Metz eine knappe Aufzeichnung über die Vorfahren Karls des Großen, die als die erste Herrschergenealogie des christlichen Mittelalters überhaupt gelten darf. Der unbekannte Verfasser verfolgt die männliche Ahnenreihe des Kaisers zurück bis zu einem Anspert „aus dem Geschlecht von Senatoren“, der Blithilt, die Tochter des Frankenkönigs Chlotar I. (511-561) zur Frau genommen haben soll. 

In Italien wurde der Untergang des Senatorenadels durch die Invasion der Langobarden (568) herbeigeführt, die sie nicht nur in besetzten Gebieten vernichteten (580 n. Chr. letzte Senatssitzung in Rom), sondern auch in den Byzanz verbliebenen Regionen die Verminderung ihres Grundbesitzes und ihrer Stellung auf Provinzmaß verursachten. Das byzantinische Herrschaftsgebiet war nämlich in eine Vielzahl von Küstenstreifen zersplittert. In jedem dieser Gebiete erfuhr die Schicht der Grundbesitzer eine tiefe Veränderung, weil die Notwendigkeiten der Regierung und Verteidigung die byzantinischen Behörden zwangen, sie in das Heer und die kaiserliche Verwaltung einzugliedern, d.h., sie in eine militia (Militäradel) umzuwandeln, die durch militärische Gewohnheiten und bisweilen durch Adelstitel bürokratischen Ursprungs wie consul und dux gekennzeichnet war.

Im Laufe des 7. Jh. verschmolzen der grundbesitzende langobardische Adel und die verbliebenen Reste des italischen Großgrundbesitzertums im Zuge der Romanisierung der Langobarden. Die gesellschaftliche Gleichordnung überlagerte die alte ethnische und rechtliche Trennung: auch hier war der Grund gelegt für eine auf Landbesitz beruhende soziale Ordnung.

Der alte spätrömische Adel verschwand fast völlig mit der Umformung des Oströmischen Reiches in den mittelalterlichen Staat Byzanz (7. Jh.), nachdem Kaiser Heraklius die Themenverfassung eingeführt hatte (617). Im byzantinischen Anteil von Italien wurden die Ämter eines dux, tribunus oder magister militum in den Familien der großen Grundbesitzer immer mehr erblich. Längst hatten diese die lokale Jurisdiktion und die Steuereintreibung in ihren Händen. Aber sie wurden auch in der Organisation der lokalen Milizen entscheidend, die aus ihren Hintersassen bestanden. Der lokale Adel verfügte zunehmend über die Schlüsselposten der Verwaltung. Hinter den äußeren Formen der kaiserlichen Administration entstand so ein präfeudales politisches System von lokalen Herrschaften.


   
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Die byzantinische Aristokratie

Der alte spätrömische Adel verschwand fast völlig mit der Umformung vom Oströmischen in das Byzantinische Reich (7. Jh.). Aus den Reihen der Bürokratie – des zivilen Beamtentums wie der militärischen Befehlshaberschaft – bildete sich in einem allmählichen Prozeß (in der zweiten Hälfte des 8. und im 9. Jh.) eine neue Aristokratie, deren Charakter vom Zusammentreffen mehrerer sozialer und wirtschaftlicher Faktoren im Rahmen bestimmter Familien geprägt war:

-          ständige Ausübung von Verwaltungsposten,

-          überdurchschnittlich großer Landbesitz und beweglicher Besitz und

-          Herausbildung eines angesehenen Familiennamens.

Auf der einen Seite war der neue Adel aus dem Beamtenstand hervorgegangen, dessen Spitzen sich mittels ihrer Funktionen in eine aristokratische Schicht umbilden, und so einen mehr oder minder geschlossenen Kreis darstellen, aus dem sich die Funktionäre rekrutieren. Bis zum 10. Jh. erhält diese Schicht die Schlüsselstellung im Staatsapparat. Auf der anderen Seite schufen die langandauernden Kriege mit den Arabern zahlreiche berufsmäßige Heerführer, die sich allmählich durch den Erwerb ausgedehnter Besitzungen in den neueroberten Gebieten bereicherten und angesehene Familien begründeten. Sowohl für die eine wie die andere Gruppe war der Landhunger charakteristisch, das Streben nach Grundbesitz in Byzanz, dessen städtische Wirtschaft durch die Zünfte und strenge staatliche Kontrolle gehemmt war. Landbesitz bildete sich meist durch Kauf und Erbschaft oder wurde auf irgendeine andere Weise aus bäuerlichem Besitz erworben, der vom 7.–9. Jh. an die Basis der Produktion darstellte. Der Aufstieg des Adels auf Kosten der freien Bauern führte zu einer Abnahme der steuerzahlenden und zu Kriegsdienst verpflichteten Bevölkerung.

Am Ende des 8. Jh. sind die ersten Familiennamen als Zeichen familiären Selbstbewußtseins belegt. Byzanz ist das Urspungsgebiet der heutigen europäischen Familiennamen. Im 9. und 10. Jh. begegnen sie hier schon voll entwickelt. Sie sind aus erblich gewordenen Individualnamen entstanden. Unter den Individualbezeichnungen, die den Familiennamen vorausgingen, waren in der byzantinischen Aristokratie Titel, Funktionen und regionale Herkunftsbezeichnungen stark vertreten. Übernamen nach dem Aussehen, nach persönlichen Eigenschaften und Ähnlichem sind in den Signa und Supernomina der römischen Kaiserzeit bereits vorgebildet und stellen die wichtigste Grundlage für die byzantinischen Familiennamen dar. Originär byzantinische Gentil- oder Clannamen fehlen. Eine patrilineare Abstammungsgemeinschaft als Einheit zu charakterisieren und nach ihrem vermeintlichen oder realen Ahnherrn zu benennen, war den Byzantinern fremd. Sicher wurden die byzantinischen Familiennamen primär in männlicher Linie weitergegeben, wie späterhin die europäischen auch. Es war aber keineswegs ausgeschlossen, sie auch in weiblicher Linie zu tradieren, etwa in Verbindung mit bestimmtem Besitz, oder mütterliche und väterliche Familiennamen miteinander zu vereinigen. In spätbyzantinischer Zeit haben ahnenstolze Aristokratengeschlechter ihre Genealogien bis ins 10. Jh. zurückverfolgt.

Der erste Kaiser, der einen Familiennamen führte, ist Michael I. Rangabe (811–813), doch erst am Ende des 9. Jh. erließ Kaiser Leon VI. (886–912) seine berühmten Empfehlungen über die Bevorzugung angesehener Familien bei der Vergabe verantwortlicher Ämter. Aber noch im 10. Jh. und sogar später ist eine soziale und genealogische Abschließung der führenden Familien nicht durchweg erreicht; die vertikale Offenheit der Gesellschaft stellte noch immer einen wichtigen Faktor der byzantinischen Zivilisation dar.

Die Entwicklung der Aristokratie ging zwei Wege und bedingte einmal die Entstehung des sog. Beamtenadels, dem man auch die geistlichen Würdenträger zurechnen kann und die des sog. Militäradels. Der Unterschied wurde noch dadurch verstärkt, daß die politische Kraft der „Beamten“ an das Zentrum des Staates gebunden war, die des „Militärs“ an die Provinz. In dieser Phase, in der bei gleichzeitiger kultureller Blüte der Einfluß der Hauptstadt und des Beamtenadels vorherrscht, führt die Vernachlässigung des Militärs zum Verlust Kleinasiens. Auf einer Welle der Unzufriedenheit kommt die Militäraristokratie an die Macht, personalisiert in der Dynastie der Komnenen (11. Jh.). Im Laufe der Zeit verringern sich allerdings die Unterschiede innerhalb des byzantinischen Adels.

Den vielschichtigen Charakter des Adels bestimmen mehrere miteinander verflochtene Elemente:

-          die Position in der staatlichen Hierarchie,

-          die Zugehörigkeit zu einem Adelsgeschlecht,

-          bedeutende bewegliche Güter,

-          Reichtum an Landbesitz.

Im 11. Jh. übernahm die erstarkte Aristokratie unmittelbar die Macht. Zuerst hatte die hauptstädtische Aristokratie eine Vormachtstellung, doch glich sich der Unterschied der Herkunft der Adelsfamilien, im zivilen wie im militärischen Bereich, bereits in einem knappen Jahrhundert aus. Die Aristokratie erlangte – trotz Uneinheitlichkeit ihres sozialen Status – im gesamten gesellschaftlichen Leben vollkommene Dominanz. Der zunehmenden staatlichen Verarmung stand ein Anwachsen privaten aristokratischen Reichtums gegenüber, der durch das Auftreten mächtiger „Clans“, zu denen sich die herrschenden Familien zusammenschlossen, in gesellschaftliche Macht umgesetzt wurde. Die unter der Kontrolle dieser Familiengruppierungen stehenden staatlichen Institutionen, vom Kaiserhof angefangen, erhielten mehr oder minder explizit privaten Charakter.

Doch das markanteste Zeugnis für den Prozeß der Feudalisierung ist die Institution der im 12. Jh. eingeführten Pronoia, durch die dem Träger Nutzungsrechte über einen von Abhängigen bewirtschafteten Besitz, Bergwerke, Salinen etc. gegen die Leistung von Militärdienst, verliehen wurden. Dieser Vertrag des Herrschers mit angesehenen Untertanen erinnert stark an das westliche Institut des Lehens, dem die Pronoia nach dem 4. Kreuzzug (1204) angeglichen wurde. Diese Verpflichtung zur Heeresfolge erfüllte der Empfänger meistens selbst. Es war aber auch möglich, daß er einen Teil seiner Leute mit sich führte. Die Gefolgschaften der Magnaten bildeten echte kleine Heere von Begleitern und Höflingen. Der Charakter der Pronoia machte deren Träger – den Pronoiaren – eher einem Privatbeamten des Kaisers ähnlich als einem Staatsbeamten und das byzantinische Heer zu einer Institution des Adels. Diese Merkmale verstärken sich in der Epoche der Palaiologen (1261–1453), als die Pronoia erblich und formal unterstrichen wird durch den Treueeid, den der Pronoiar gewöhnlich dem Herrscher leistet.

Ein fast ebenso wichtiges Merkmal ist das Institut der Immunität, die zunächst die Steuerimmunität der eigenen Güter umfaßte, in seltenen Fällen auch die Eigengerichtsbarkeit, vor allem in Zivilprozessen (Gerichtsimmunität), häufiger aber den Schutz vor dem Eingreifen von Staatsbeamten auf den Gütern des Immunitätsinhabers (administrative Immunität). Auch wenn keineswegs immer vollständige Immunitätsprivilegien verliehen wurden, stellten diese doch weitreichende Zugeständnisse des Staates an Klöster und adlige Grundbesitzer dar. Es begann ein langsamer Prozeß der Wandlung des Staatsapparates, der wohl erst in der Zeit der Palaiologen als Feudalisierung im eigentlichen Sinne bezeichnet werden kann, obwohl sich schon in der Komnenenzeit viele Ansätze abzeichnen.

Seit der Mitte des 14. Jh. erreichte der Prozeß der Privatisierung der staatlichen und sozialen Struktur auf wesentlich feudaler Grundlage seinen Höhepunkt. Die nächsten Verwandten des Kaisers, vor allem die Söhne, erhielten weiträumige Gebiete zum Besitz und zur Verwaltung. Diese sogenannten Apanagen entwickeln sich zu halbsouveränen Fürstentümern. Das Kaiserreich verwandelte sich zeitweilig gleichsam in ein Konglomerat solcher administrativ weitgehend autonomer Herrschaftsgebilde. In der spätesten Periode sind entsprechende Tendenzen auch auf niedrigeren Stufen der Herrschaftsausübung festzustellen, da einzelne Pronoien gleichsam zu eigenständigen Verwaltungsbezirken wurden, in denen die Pronoiare die Lokalverwaltung ausübten. Die Unterschiede zwischen Privatbesitz und Verwaltungseinheiten beginnen allmählich zu verschwinden – einige Adlige besitzen ein bestimmtes Territorium und verwalten es gleichzeitig als Statthalter des Kaisers. Doch zu dieser Zeit begann die byzantinische Aristokratie bereits, ihr Interesse von der Agrarproduktion auf die Sphäre von Handel, Bankwesen und Immobiliengeschäft in den Städten zu verlagern, aber die Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen (1453) unterbrach jede mögliche Weiterentwicklung der byzantinischen Gesellschaft.

Der byzantinischen Fürstenfamilie Kantakuzenos gehörten die Kaiser Johannes VI. (1341–1354) und Matthäus (1354–1358) an; sie besaß 1348–1383 das Despotat von Mistra (Peleponnes), wo sie zahlreiche Albaner ansiedelte. Unter der Türkenherrschaft zählten die Kantakuzenoi zu den vornehmsten Fanariotenfamilien in Konstantinopel. Michael Kantakuzenos (ca. 1525–1576) erwarb als Steuerpächter in Anchialos (Bulgarien) ein Vermögen, so daß er dem Sultan Selim II. nach der Schlacht von Lepanto 15 Galeeren schenken konnte; wegen seiner Härte wurde er auf Befehl Murads III. hingerichtet. Ein Zweig der Familie (Cantacuzino) wanderte zu Anfang des 17. Jh. in die Donaufürstentümer (Rumänien) und nach Rußland ein. Angehörige der Familie Kantakuzino waren Fürsten von Moldau (1673-75, 1684-85) und der Walachei (1678-1715). Georg und Alexander, zwei Brüder aus dem nach Rußland ausgewanderten Zweig der Familie, standen in russischen Diensten und folgten 1821 Alexander Ypsilantis in die Moldau. Georg (†1857) wurde Stabschef, befehligte in Jassy und kehrte nach der Katastrophe nach Rußland zurück. Alexander (†1841), im April 1821 von Ypsilantis neben dessen Bruder Demetrios nach Morea geschickt, nahm am 4. August Monemvasia und belagerte Tripolitzka. Er ging dann nach Dresden und kehrte 1828, als Kapodistras Präsident geworden war, nach Griechenland zurück.

Die letzte byzantinische Herrscherdynastie waren die Palaiologen. Sie regierte von 1258(1261) bis 1453. 1305 kam die zu Reichsitalien gehörende Markgrafschaft Montferrat durch Erbschaft an eine Seitenlinie dieses Geschlechtes und von diesem 1536/59 an die Gonzaga von Mantua. Aus einer nichtebenbürtigen Verbindung stammt die Familie Paléologue. Der bedeutendste Vertreter war der französische Diplomat  Maurice Georges Paléologue (1859-1944), der die Russische Oktoberrevolution als Augenzeuge miterlebte und dies niederschrieb (La Russie des Tsars pendant la grande guerre, Paris, dt. Plön 1922).


   
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Der griechische Adel

Unter dem byzantinischen Kaiserhaus der Palaiologen entwickelte sich die prónoia zur Hauptform des weltlichen feudalen Großgrundbesitzes. Unter den prónoiai verstand man unveräußerliche Lehen, die an Feudalherren verliehen wurden. Der Pronoiarier ließ das Land durch abhängige Leute bearbeiten, übte staatliche Hoheitsrechte aus und hatte dafür voll ausgerüstete Soldaten zu stellen. Die Pronoiarier verstanden es, ihre bedingten und zeitweiligen Belehnungen in erblichen, unbeschränkten Besitz zu verwandeln. Das System der Immunitäten spielte ihnen nicht nur gerichtsherrliche Kompetenzen, sondern auch die Steuereintreibung in die Hände. Nach der türkischen Eroberung plünderte der christliche Adel der Fanarioten die christliche Bevölkerung systematisch aus und erzeugte bei der griechischen, slawischen und armenischen Bevölkerung einen tödlichen Haß. Mit besonderer Begeisterung sind die bosnischen Magnaten dem Islam zugefallen.

Bei den Griechen in Epirus und Makedonien sowohl wie im Peloponnes und auf den Inseln hatte sich das ganze Mittelalter hindurch und sogar noch unter der türkischen Fremdherrschaft ein freier Bauernstand erhalten. Einen Adel im eigentlichen Sinne aber gab es nicht. Zwar wurde eine Anzahl Großgrundbesitzer teils von den Venezianern, teils von den lateinischen Fürsten und Herzögen mit adligen Titeln ausgezeichnet, aber Vorrechte waren damit nicht verbunden. Der alte byzantinische Adel war bis auf wenige Familien untergegangen, und die einflußreichen griechischen Geschlechter, die nicht zum Islam übertraten, wurden von den Sultanen allmählich zum großen Teil ausgerottet. Dies geschah insbesondere in Nordepirus, auf Kreta und in Konstantinopel (Istanbul). Dagegen kam unter der türkischen Herrschaft eine neue Aristokratie auf, die Fanarioten in Konstantinopel und die Kodschabaschis in Griechenland.

Zu den Fanarioten (Phanarioten) zählen Familien, die ihren Ursprung bis auf die Kaiserzeit (bis 1453) zurückführen, z.B. die Maurokordato, Ypsilanti, Monesi. Nachdem sich unter Mohammed II. (1451–1481) der griechische Patriarch im Fanar (Phanar), einem griechischen Stadtviertel von Konstantinopel, ein Haus in der Nähe der ihm überwiesenen Kirche St. Georg erbaut hatte, siedelten sich die Reste der alten byzantinischen Aristokratie dort an. Die Oberhäupter der Familien legten sich den Fürstentitel bei, ihre Ehefrauen wurden Domna, die Töchter Domnizza genannt. Politischen Einfluß gewannen die Fanarioten erst, nachdem es seit 1669 üblich geworden war, die Dragomane (Dolmetscher), Sekretäre, Diplomaten und außenpolitische Berater der Hohen Pforte (Regierung des osmanischen Sultan) aus ihnen zu wählen. Seit 1711 wurden die Hospodare (Fürsten) der Moldau (1711-1821) und der Walachei (1716-1821) ihrem Kreise entnommen. Einigen fanariotischen Geschlechtern gelang es auch, durch kluge Geldgeschäfte Reichtum und Einfluß zu erringen. Gegen ihr ausbeuterisches Regime kam es 1821 zum Aufstand in den Donauprovinzen. Mit dem Einfall der von Alexandros Ypsilantis (1792-1828) geführten Heiligen Schar in die Moldau (6.03.1821) begann der griechische Befreiungskampf. Der griechische Aufstand (1821) kam den meisten Fanarioten aus persönlichen Gründe sehr ungelegen, und sie brachten ihm daher durchaus keine Begeisterung entgegen. Trotzdem bekamen sie die Repressionen der Türken zu spüren, sie verloren ihre zentrale Stellung im Osmanischen Reich (1821); manche Familien wurden fast ganz ausgerottet. Einige Fanarioten finanzierten den Griechischen Unabhängigkeitskrieg (1821-29) und führten ihn an, sie fochten tapfer für die griechische Sache, wie die Maurokordato und Ypsilanti. Im 8. Russisch-Türkischen Krieg wurden alle Christen mit Ausnahme der Armenier vom osmanischen Staatsdienst ausgeschlossen (1877). Aufgrund des griechisch-türkischen Austauschvertrags von 1923 übersiedelten die meisten Fanarioten von Konstantinopel nach Griechenland.

Die griechische Verfassung von 1862 und 1863 bestimmte in ihrem dritten Artikel: „Adels- oder unterscheidende Titel werden an Bürger weder verliehen noch anerkannt.“ Trotzdem bestanden die alten Unterschiede fort, und die Großgrundbesitzer auf dem Festland wie auf den Inseln übten in ihren Dörfern einen weit stärkeren Einfluß aus als etwa ein freier Standesherr in Deutschland.

 


   
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Der lateinische Adel in Griechenland

Die Kreuzfahrer führten in den von ihnen eroberten Ländern die Vorstellungen und Einrichtungen des westlichen Lehnswesens ein, wobei die Ausprägung von Regeln und Gewohnheiten hinsichtlich der militärischen Dienstverpflichtungen, der Vererbung und Veräußerung von Lehen einen gewissen Zeitraum beanspruchten. Doch war dieser Prozeß in großen Zügen um die Mitte des 12. Jh. abgeschlossen.

Balduin von Flandern wurde am 16. Mai 1204 mit byzantinischem Gepränge, aber lateinischem Ritus zum ersten Kaiser von Romania, dem lateinischen Kaiserreich von Konstantinopel, gekrönt und unterschrieb nach byzantinischem Vorbild seine Urkunden mit roter Tinte. Dennoch besaß er nur einen Schatten der Herrschaftsfülle seiner byzantinischen Vorgänger. Vertragsgemäß erhielt der Kaiser ein Viertel des Byzantinischen Reiches, und zwar Thrakien und das nordwestliche Kleinasien nebst den Inseln Lesbos, Chios und Samos. In Mittel- und Südgriechenland entstanden mit der Hilfe des Königs von Thessalonike neue fränkische Fürstentümer in lockerer Lehnsabhängigkeit vom lateinischen Kaiser, so in Attika und Böotien das Herzogtum Athen. Auf der Halbinsel Morea bildete sich das französisch bestimmte Fürstentum Achaia. Diese Lehnsstaaten wurden praktisch unabhängig, und das Reich war auf sich selbst gestellt.

Als bedeutendste fränkische Staatsgründung in Griechenland erwies sich das Fürstentum Achaia auf der Peloponnes. Das Herzogtum des Archipel, das Herzogtum Athen und die Herrschaft Negroponte wurden noch in diesen Lehnsverband eingeschlossen. Achaia war nun das Zentrum des fränkischen Griechenland. Der von Achaia beherrschte Staatenverband umfaßte zur Zeit seiner größten Blüte etwa 1.000 Ritterlehen, davon etwa 600 in Achaia selbst. Sie waren überwiegend gebildet worden aus Konfiskationen des Besitzes des byzantinischen Fiskus, geflohener Landbesitzer, der orthodoxen Kirche und rebellischer byzantinischer Magnaten. An der Spitze der Lehnspyramide stand der Fürst, der an die feudalen Gewohnheiten gebunden und im Prozeß- und Besteuerungsrecht von seinen Vasallen abhängig war.

Die 12 Barone genossen Pairsrang und übten die Blutsgerichtsbarkeit aus. Ihre Größe schwankte zwischen 4 und 24 Ritterlehen, von denen etwa ein Drittel unterverlehnt war, während der Rest die Baronialdomäne bildete. Unter den Baronen stand die Masse der ligischen Vasallen, die nur die einfache Strafgerichtsbarkeit ausüben konnten. Ihre Dienstpflicht war hart: sie umfaßte 4 Monate Felddienst und 4 Monate Garnisonsdienst, und nur den Rest des Jahres konnten diese Ritter auf ihren eigenen Gütern verbringen. Nach ihnen kamen die einfachen Lehnsträger, die nur noch die Zivilgerichtsbarkeit ausübten. Schließlich gab es noch halbe Ritterlehen für nichtadlige fränkische Sergeanten. Alle Lehen vererbten sich in der Primogenitur, mit weiblichem und kollateralem Erbrecht und dem Vorrang des nächsten Verwandten, auch wenn dieser durch die weibliche Linie repräsentiert wurde.

Sozial unter den einfachen Lehnsträgern, ihnen aber materiell fast gleichgestellt, standen die Archontes, die alten byzantinischen Magnaten, die im gebirgigen Landesinneren besonders zahlreich waren und so lange Widerstand geleistet hatten, bis man sie in das abendländische Lehnssystem einbaute. Ob die lehnsähnliche byzantinische Institution der Pronoia dieser Integration Vorschub leistete oder das abendländische Lehnswesen einer dafür überhaupt nichtvorbereiteten Gesellschaftsordnung aufgepropft wurde, ist umstritten. Die Integrationspolitik der Fürsten von Morea war auf jedem Fall eine grundsätzlich andere Politik als die von Venedig anfangs versuchte Verdrängung der Archonten durch eine Besiedelung, wenn auch beide Konzepte für die Beherrschung des Landes schließlich zu einem Einlenken gegenüber den Archonten führten.